Jeden Monat im Jahr 2020 steht bei Regens Wagner ein geistlicher Impuls zu Klara und Franz von Assisi im Mittelpunkt.
Die Impulsworte wurden zum großen Teil aus den Reihen der Seelsorgerinnen und Seelsorger bei Regens Wagner benannt. Die begleitendenden Texte – Einführung und Überlegungen, diesem Impuls im Alltag nachzuspüren bzw. in unserem alltäglichen Tun sichtbar und spürbar werden zu lassen – stammen aus der Feder unserer theologischen Referentin Dr. Thérèse Winter.
Alle sind eingeladen, unseren geistlichen Weg auch in diesem mitzugehen:
Eines Tages sagt Franziskus zu Johannes, der in Greccio lebt: „Wenn du wünschest, dass wir bei Greccio das bevorstehende Fest des Herrn feiern, so gehe eilends hin und richte sorgfältig her, was ich dir sage. Ich möchte nämlich das Gedächtnis an jenes Kind begehen, das in Bethlehem geboren wurde, und ich möchte die bittere Not, die es schon als kleines Kind zu leiden hatte, wie es in eine Krippe gelegt, an der Ochs und Esel standen, und wie es auf Heu gebettet wurde, so greifbar als möglich mit leiblichen Augen schauen.“ Als der gute und treuergebene Mann das hört, läuft er eilends hin und rüstet an dem genannten Ort alles zu, was der Heilige angeordnet hat. … Nun wird eine Krippe zurechtgemacht, Heu herbeigebracht, Ochs und Esel herzugeführt. Zu Ehren kommt da die Einfalt, die Armut wird erhöht, die Demut gepriesen, und aus Greccio wird gleichsam ein neues Bethlehem.
Das Geschehen, das uns Thomas von Celano (um 1190–1260) in seiner Lebensbeschreibung über Franziskus erzählt, spielt im Jahr 1223, drei Jahre vor dem Tod des Heiligen. Greccio liegt etwa 90 km südlich von Assisi und beherbergt eine Einsiedelei, die Franziskus oft aufgesucht hat. Er hat zwar die Weihnachtskrippe nicht erfunden, aber mit seiner Inszenierung des Weihnachtsfests hat er die wichtigsten Impulse für die Zukunft gegeben. Ganz sicher hat diese berühmte Krippenfeier von Greccio viel zur Popularität des Franziskus von Assisi beigetragen.
Franziskus predigt durch Bilder, Symbole, Inszenierungen. Das Wort allein genügt ihm nicht. Er will Herz und Gemüt seiner Zuschauer erreichen. Das Geheimnis von Weihnachten stellt er ihnen lebendig und herzlich vor Augen: das Kind, Maria und Josef, Ochs und Esel, die Hirten vom Feld, Leute vom Dorf. Es ist schon bemerkenswert, dass wir ihn bis heute nachahmen in unseren Krippen, Weihnachtsdarstellungen, Krippenspielen.
Bilder berühren uns viel stärker als nackte Texte. Farben und Figuren sind lebendiger als schwarz gedruckte Buchstaben. Wir können uns einfühlen und genauer hinschauen. Uns an Details freuen, in das Bild „hineingehen“.
Es gibt eine vielsagende Redensart: Wenn ich mich auskenne, wenn ich informiert bin, wenn ich Bescheid weiß, dann sage ich: „Ich bin im Bilde“. Im Bild sein kann auch heißen: Das, was da im Bild gezeigt wird, das geht mich etwas an, ich bin berührt und sozusagen mittendrin. Es gibt eine schöne Übung in der christlichen Tradition, biblische Texte nicht nur zu lesen, sondern sich die Geschichten leibhaftig und konkret auszumalen und vorzustellen. Dadurch werden sie viel lebendiger und ansprechender. Ich bin angesprochen und gemeint.
Im Bild sein: meinen Ort in dieser Weihnachtserzählung finden: vielleicht nah beim Jesuskind. Oder sorgend sehnsuchtsvoll wie Maria und Josef. Oder eher in zweiter Reihe wie die staunenden irritierten Hirten. Oder in einer ganz eigenen Rolle am Bildrand, als Fremder, der sich zurückhält, aber doch schaut, sich wundert, skeptisch nachfragt … Es gibt viele Plätze in diesem Bild. Weihnachten dieses Jahr könnte heißen: meinen eigenen ganz persönlichen Platz entdecken, damit ich im Bilde bin.
- Ich stelle mir eine weihnachtliche Figur oder ein Bild auf, und schaue dies im Lauf der Adventswochen immer wieder mal an: was berührt mich? Was liebe ich an diesem Bild? Welche Geschichte verbinde ich damit? Welche Fragen habe ich?
- Ich dekoriere in diesen Wochen die Zimmer und Flure sehr bewusst und einfach; weniger ist manchmal mehr.
- Worauf kann ich mich von Herzen freuen, wenn ich an Weihnachten denke?
- „Im Anschauen deines Bildes, da werden wir verwandelt in dein Bild“. Dieses Lied kann ich immer mal wieder vor mich hin singen oder summen.
Geh hin in Sicherheit, denn du hast ein gutes Reisegeleit!
Geh hin, denn der dich geschaffen, er hat dich geheiligt.
Stets hat er dich behütet wie eine Mutter ihr Kind
und mit zärtlicher Liebe hat er dich geliebt.Herr, ich preise dich, weil du mich erschaffen hast.
(Sterbegebet der Heiligen Klara von Assisi)
Der Franziskaner Thomas von Celano (um 1190–1260) hat auf Bitten des Papstes neben der ersten Biographie über den heiligen Franziskus auch ein Lebensbild über die Heilige Klara verfasst. Das sogenannte Sterbegebet findet sich in dem Kapitel über das Hinscheiden der Heiligen im Kreis der Frauen ihrer Ordensgemeinschaft. Im Sterben spricht Klara vertrauensvoll zu ihrer eigenen Seele, um dann im letzten Satz Gott zu preisen, dass er ihr Leben und Dasein geschenkt hat.
Klara macht sich auf die Reise. Es wird ihre letzte sein, das spürt sie. Voll Vertrauen ruft sie in sich selbst nochmal alle guten Erfahrungen wach, die sie auf ihrem Lebensweg mit diesem Gott machen durfte. Diese Erinnerung an den treuen Reisebegleiter hilft ihr jetzt, alles in Gottes mütterliche Hand zu legen. Das ganze Leben, mit Geist, Leib und Seele.
November ist der Monat, in dem wir besonders an unsere Verstorbenen denken. Wir beten für sie. Und sie erinnern uns daran, dass wir alle endlich und sterblich sind. Sterben heißt Lassen. Lange bevor wir leiblich sterben, werden wir mit der Erfahrung des Loslassens konfrontiert. Loslassen hat viele Gesichter. Das fühlt sich dann an „wie Sterben“: eine sichere Anstellung verlieren, das Scheitern einer Beziehung, eine schwere Diagnose, die mein Leben völlig aus der Bahn wirft, eine enttäusche Freundschaft, das Sterben eines geliebten Menschen. Manchmal gehört zum Loslassen auch Mut, weil sonst nichts Neues werden kann. Manches in meinem Leben hat sich vielleicht überlebt. Wenn ich meiner Sehnsucht traue und ein neuer Lebensweg, ein neues Ziel lockt, dann muss ich aufbrechen, vieles zurücklassen, mich auf Ungewisses einlassen. Von Klara ist zu lernen, dass dies leichter gelingt, wenn ich mich dann auch einem Anderen überlassen kann. Einer Weisheit, die mehr sieht als ich und die mich herausruft aus den alten Gleisen. Christen nennen diese Weisheit Gott. Sie vertrauen, dass trotz der Ungewissheit im Lassen und Sterben neues Leben wachsen kann. Klara ist zur Schwester geworden für alle, die jeden Tag neu dieses Vertrauen üben.
- Für die Dichterin Hilde Domin ist das Vertrauen das „schwerste ABC“. Wie geht es mir mit dem Vertrauen? In die Menschen, in mich, in Gott?
- Ich kann mich an eigene Erfahrungen erinnern, in denen ich etwas oder jemanden loslassen musste; was hat mir dabei geholfen?
- „Ich vertraue dir, bei Dir bin ich geborgen“: als Stoßgebet zwischendrin wende ich mich immer wieder während des Tages an Gott. Und nehme wahr, was sich in meiner Seele verändert.
Zur Anfangszeit, als die ersten Brüder sich Franziskus anschlossen und er mit ihnen zusammen in Rivotorto nahe bei Assisi wohnte, geschah es einmal, dass zur Mitternachtsstunde ein Bruder zu schreien anfing: Ich sterbe, ich sterbe. Erstaunt und erschrocken wachten alle auf. Der Heilige fragte: Wer hat das gesagt: ich sterbe? Und jener Bruder sagte: Ich war es! Und Franziskus darauf: Was hast du? Und jener: Ich sterbe vor Hunger! Daraufhin ließ Franziskus den Tisch zubereiten, und da er ein Mensch mit großem Mitgefühl und Einfühlungsvermögen war, aß er mit ihm zusammen, damit dieser sich nicht schämen müsse, allein zu essen. Er wollte zudem, dass alle anderen mitaßen. (aus: Bruder Leo, Spiegel der Vollkommenheit, 27)
Bruder Leo ist einer der ersten Brüder des Heiligen Franziskus. Seit 1210 ist er immer in seiner Nähe. Er ist Beichtvater und Sekretär von Franziskus, er begleitet ihn zu den Einsiedeleien, wenn der Heilige sich zurückzieht zum Gebet. Während dessen Krankheit pflegt er ihn. Bruder Leo verfasst verschiedene Sammlungen und Chroniken der ersten Gemeinschaft des Franziskus, darunter auch den „Spiegel der Vollkommenheit“, in dem die oben genannte Geschichte zu finden ist.
(von Otto Scherübl, Regens Wagner Holnstein)
Immer wieder erlebe ich bei unseren Fahrten nach Assisi dieses tolle Gefühl, wie einer für den anderen Mit-Sorge trägt. Beim gemeinsamen Essen oder Picknick, zu dem jede/r nur etwas Weniges mitnehmen soll, quilt der Tisch vor Köstlichkeiten über. Ich erzähle dann immer gern diese Geschichte aus Rivotorto:
Da ist einer, der Hunger hat. Vor Hunger Angst um das eigene Leben bekommt. Dieser Hunger nach Leben, den es in so vielfältigen Facetten gibt. Manchmal sogar so stark, dass man Angst ums eigene Über-Leben bekommt.
Und da ist auch in meinem Leben oft so ein fürbittender Franziskus, der mich fragt: Was hast du? Und der dann zu den anderen Schwestern und Brüdern sagt: Kommt, schaut, der da hat Lebens-Hunger. Den dürfen wir jetzt nicht allein lassen! Und wenn es auch finstere Nacht ist …
Gott sei Dank darf ich das immer wieder erleben, dass es diesen Franziskus und seine Brüder und Schwestern auch heute gibt, die auf dieses Flehen des Lebens-Hungers hinhören, wach werden und zusammenstehen, um den Hunger gemeinsam zu stillen. Und aus dem tiefen Bewusstsein, dass beim gemeinsamen Mahl noch einer dabei ist, der von sich sagt: Ich bin das Brot des Lebens!
Persönliche Impulse für den Alltag
- Kenne ich so etwas wie Hunger nach Leben, nach Gemeinschaft, nach Vertrauen, nach Sinn auch aus meinem Leben?
- Ich kann an Menschen denken, die mich wie Franziskus danach fragen, was ich brauche. Ich kann ihnen bewusst DANKE dafür sagen.
- Wenn ich das nächste Mal den Tisch decke, mache ich mir bewusst, dass der Tisch für alle gedeckt sein soll – ein starkes Zeichen des Teilens und der Fürsorge.
- Ich kann mir vornehmen, selbst genauer nachzufragen und hinzuhören wie Franziskus, wenn andere mir von ihrem Lebenshunger erzählen.
- Vielleicht gehe ich wieder mal bewusst zum Gottesdienst, empfange Jesus im Brot und erzähle ihm von meinem Lebenshunger.
Denk an deinen Entschluss
und behalte deinen Anfang fest im Auge.
Was du hältst, das halte weiter.
Was du tust, das tue weiter,
hör nicht damit auf.Schnell und leichtfüßig, ohne zu stolpern,
sodass deine Schritte kaum Staub aufwirbeln,
sicher, froh und guten Mutes,
geh achtsam voran
auf deinem Trampelpfad des Glücks.Verweigere dein Vertrauen und Einverständnis allem,
was dich von deinem Vorsatz abbringen
und jedem, der dir Steine in den Weg legen will.Gottes Geist hat dich zur Vollkommenheit gerufen,
darauf hast du einst vertraut,
bleib dabei.(Übertragung von Martina Kreidler-Kos)
Klara von Assisi (1194–1253), eine junge adelige Frau, ist fasziniert vom ungewöhnlichen Weg des Franziskus. Gegen alle Widerstände wählt sie den Weg der Armut, der radikalen Nachfolge Jesu. Sie gründet eine Gemeinschaft gleichgesinnter Frauen und lebt zeitlebens in ihrem Kloster San Damiano. Die oben zitierten Zeilen stammen von einem Brief an die böhmische Prinzessin Agnes von Prag, Freundin und Mitschwester von Klara.
Klara weiß, wovon sie spricht. Ähnlich wie Agnes ist es auch ihr ergangen: ihre Lebensentscheidung, ganz Jesus nachzufolgen, wird immer wieder torpediert. Zuerst von der eigenen Familie, die ganz andere Pläne für die Tochter hat. Später dann zunehmend von Männern der Kirche, die eine so radikal gelebte Armut und Besitzlosigkeit ablehnen. Der Papst will Klara zwingen, sich und die Schwestern wirtschaftlich abzusichern. Klara weigert sich hartnäckig. Von ihrer tiefen Überzeugung, dass sie das Richtige tut, lässt sie sich nicht abbringen. Zu diesem Mut ruft sie auch Agnes auf. Und bis heute alle, die neue Wege suchen und sich mit einem routinierten satten Leben nicht zufrieden geben wollen.
Dem eigenen „Trampelpfad des Glücks“ folgen – egal, was andere denken, ob sie ihn gutheißen oder nicht. Das braucht eine große Portion Eigensinn, Beharrlichkeit und Durchsetzungsvermögen. Das weiß jeder, der schon mal den Mut aufgebracht hat, unbequeme, ungewöhnliche Lebensentscheidungen zu treffen und seinem Herzen zu folgen. Oft verstehen es die am wenigsten, die eigentlich am nächsten dran sind. Familie, Freunde, Kollegen. Und manchmal gibt es auch die inneren „Abergeister“, die zweifeln lassen und verunsichern. „Werde ich das schaffen? Was muss ich alles zurück lassen? Ist es nicht viel zu ungewiss?“ Behalte deinen Anfang fest im Auge, sagt Klara. Bleib dran an dem, was Dein Herz Dir sagt. Und hab keine Angst vor den Steinen auf dem Weg. Sie können Dich stärker machen.
- „Ich bleibe mir treu“ – dieses Wort kann mich durch den Monat September begleiten; ich nehme es mit in meinen Alltag.
- Ich kann über die verschiedenen Stationen meines Lebensweges nachdenken und mich fragen: Wann habe ich viel Eigen-Sinn und Hartnäckigkeit gebraucht, um in meiner Spur weiterzugehen? Wer oder was hat mir dazu geholfen? Ich lasse die Erinnerungen in mir aufsteigen.
- Welche „Steine“ blockieren mich gerade?
- Gibt es abgebrochene Wege, Irrwege, Umwege, für die ich im Nachhinein trotzdem dankbar bin, weil ich etwas gelernt habe? Weil sie mich stärker gemacht haben?
- Für welche Wegabschnitte wünsche ich mir Versöhnung? Ich kann Gott darum bitten.
Eines Tages schlug Franziskus einem Mönch vor: „Wir wollen in die Stadt gehen und dort den Leuten predigen.“ So machten sie sich auf den Weg nach Assisi, und sie gingen durch die Straßen über den Marktplatz und unterhielten sich dabei über ihre geistlichen Erfahrungen und Erkenntnisse. Erst, als sie wieder auf dem Weg nach Hause waren, rief der junge Mönch erschrocken aus: „Aber Vater, wir haben vergessen, den Leuten zu predigen!“ Franz von Assisi legte lächelnd die Hand auf die Schulter des jungen Mannes: „Mein Bruder“, antwortete er, „wir haben die ganze Zeit nichts anderes getan. Wir wurden beobachtet und Teile unseres Gesprächs wurden mitgehört. Unsere Gesichter und unser Verhalten wurden gesehen. So haben wir gepredigt.“ Dann fügte er hinzu: „Merke dir, mein Bruder: Es hat keinen Sinn zu gehen, um zu predigen, wenn wir nicht beim Gehen predigen!“
Diese Geschichte ist frei erzählt nach einer Begebenheit in Bologna. Historisch gesichert ist die Tatsache, dass Franziskus zeitlebens zu Fuß unterwegs ist. Er ist ein Pilger, der weite Wege zurücklegt, immer auf der Suche nach Gott und den Menschen. Im Frühling/Sommer 1222 zeigt Franziskus eine neue Leidenschaft für die Wanderpredigt. Trotz vielfacher Erkrankungen macht er sich Anfang August auf den Weg durch den Apennin nach Bologna.
Mich berühren zwei Dinge an dieser Geschichte.
Zum einen: Franziskus weist seine Brüder darauf hin, dass der Leib und das Verhalten eines Menschen oft eine viel deutlichere Sprache sprechen als noch so gut gesetzte Worte. Diese Erfahrung kennen wir aus dem Alltag. Noch, bevor wir den Mund aufmachen, strahlen wir immer schon etwas aus. Ob ich eine Arbeit müde und lustlos beginne, wie ungeduldig ich jemanden zuhöre und dabei verstohlen auf die Uhr schaue, die Art, wie ich jemand die Tür aufhalte, einen Raum betrete, wie ich einen anderen anschaue oder mich autoritär in einer Gruppe bewege – wir kommunizieren zu einem großen Teil durch unsere Mimik, Gestik, unsere Art der Präsenz und Körperhaltung, noch bevor wir sprechen. Das ist uns selten bewusst. Aber es wirkt.
Zum anderen: Auch wenn wir im Normalfall nicht predigen, wie wir es von der Kirche her kennen, so kommunizieren wir doch durch Sprache und Worte. Manche Leute reden unheimlich gerne (nach dem Motto: Ich rede, also bin ich!), anderen muss man jedes Wort aus der Nase ziehen. Worte können aufbauen, trösten und ermutigen, sie können aber auch abwerten, verletzen oder hohl sein. Worte sind also äußerst wirkungsvoll: „Probier’s doch mal!“ fühlt sich völlig anders an als „Das kannst du sowieso nicht!“
Im besten Fall passen Haltung und Worte zusammen; das macht eine glaubwürdige Person aus, in deren Nähe man sich wohl fühlt. Die tatsächlich etwas zu sagen hat. Und die auch mal schweigen kann.
- Ich wähle mir mein „Wort des Monats“ und lasse mich davon begleiten und inspirieren: Wärme, Leichtigkeit, Kraft, Lebendigkeit, Sehnsucht, Aufmerksamkeit, Geduld, Schönheit, Lassen, Neubeginn …
- Ich achte darauf, ob und was sich vielleicht verändert. Ich kann mir persönliche Notizen machen.
- Beim Reden mit anderen mache ich mir immer wieder bewusst, dass meine Worte im Guten wie im Schlechten wirken.
- Im Urlaubsmonat August finde ich mehr Zeit, unterwegs zu sein. Ich kann das bewusste Gehen üben, mit Hilfe des Satzes: „ich berühre mit meinen Füßen den Boden“ – einfach mal ausprobieren (geht auch außerhalb des Urlaubs!) Im Gehen verbinden sich Bodenhaftung und Beweglichkeit.
„Behaltet darum nichts von euch für euch zurück, damit euch ganz aufnehme, der sich euch ganz hingibt.“ (BrOrd 2,29)
Das kurze Zitat stammt aus einem Brief, den Franziskus an den gesamten Orden geschrieben hat. Dieser Brief enthält Weisungen an alle Brüder seiner Gemeinschaft, die er gerne Brüderschaft nennt.
In einer Zeit, in der noch eine ganz klare und starre Ständeordnung herrscht, in der es eindeutig oben und unten gibt, da hat der Heilige aus Assisi eine andere Vision von Gemeinschaft: alle sollen wie Brüder (und Schwestern) leben, der Vornehme und Reiche soll nicht mehr zu sagen haben als der Einfache und Ungebildete, der Kleriker nicht mehr als der Laie.
Nichts für sich zurückbehalten – das ist ein starker Anspruch, den Franziskus da an seine Brüder richtet. Behalte nichts von dir für dich zurück – in dieser Radikalität klang das damals schon irritierend, und wie sehr erst heute!
Franziskus denkt gar nicht zuerst an das Materielle. Vielmehr geht es ihm um die Person als Ganze, mit ihren Gefühlen, Gedanken, Worten, mit ihrer Erfahrung, Zeit und Aufmerksamkeit, ihren Fähigkeiten und ihrer Begeisterung. Wer sich selbst aufspart für einige ausgewählte Menschen und Situationen, wer sich vornehm zurück hält, weil er sich die Finger nicht schmutzig machen will, wer immer nur als Zuschauer in sicherer Distanz bleibt und das Risiko des persönlichen Einsatzes scheut, der bleibt seltsam unfruchtbar und blockiert. Da kommt das Leben nicht in Fluss. Wer sich dagegen mitteilt und austeilt, sich als Person ins Spiel bringt, ahnt etwas vom Geheimnis geteilten Lebens: im Teilen vermehren sich die Gaben, im Teilen gewinne ich dazu.
Nichts zurückbehalten, das heißt auch die eigenen Hände zu öffnen. Offene Hände können schenken, offene Hände können empfangen und sich beschenken lassen. Das Eine nicht ohne das Andere! Franziskus denkt immer wieder nach über das Verhalten von Jesus. Er entdeckt in ihm einen Menschen, der sich ohne Vorbehalte und Absicherungen verschenkt an seine Freunde, an Kranke und Fragende, an Zöllner und Sünder, an die Kinder und die Erwachsenen.
Jesus stellt keine Bedingungen. Er rechnet nicht auf und behält nichts zurück. Da wo er ist, ist er ganz. Für so ein Verhalten gibt es das schöne altmodische Wort „Hingabe“. Man kann diese Hingabe entdecken bei Kindern, die selbstvergessen ins Spiel vertieft sind. Man findet sie bei Liebenden, die füreinander die ganze Welt bedeuten. Man spürt sie bei Künstlerinnen und Musikern, die mit ihrem ganzen Wesen in ihrer Kunst aufgehen. Man bewundert sie bei denen, die ganz für andere da sind. Und man ahnt sie bei Menschen, die sich immer wieder – so wie Franziskus - dem Kraftfeld Gottes aussetzen. Das schmeckt nach Lebendigkeit und Freiheit.
- Ich kann mir überlegen, was ich mit dem Teilen verbinde; wie habe ich es als Kind erlebt? Als Jugendliche? Als Erwachsener?
- Sind es eher schöne Erfahrungen? Waren auch schwierige dabei?
- Wann hat zuletzt ein anderer mit mir etwas geteilt? Was war das? Und wofür bin ich dankbar?
- In welchen Bereichen möchte ich gerne großzügiger sein?
- Ich stelle ein Bild mit offenen Händen auf meinen Schreibtisch oder hänge es an meine Pinwand/ meinen Spiegel. Um was möchte ich bitten, für mich, für andere? Materielles, Gesundheit, Erfolg, Gelassenheit, Zuversicht, Versöhnung ….
„Weißt du, Bruder, was ein reines Herz ist?“, fragte Franziskus. „Wenn man sich nichts vorzuwerfen hat“, antwortete Leo, ohne lang zu überlegen. „Dann verstehe ich, dass du traurig bist; irgendetwas hat man sich immer vorzuwerfen. … Sieh auf Gott. Bewundere ihn. Freue dich, dass es ihn gibt, den ganz und gar Heiligen. Danke ihm um seiner selbst willen. Entdecke staunend, dass Gott überhaupt existiert. Sei dankbar für seine Barmherzigkeit, die er uns nie entzieht. Das heißt, ein reines Herz haben. Aber zu dieser Reinheit kommt man nicht dadurch, dass man sich plagt und abrackert.“ „Wie denn?“, fragte Bruder Leo. „Sich selbst einfach aufgeben. Nichts behalten wollen. Auch das eigene Elend nicht mehr unter die Lupe nehmen. Dann wird das Herz leicht. Es fühlt sich selbst nicht mehr, wie die Lerche, die glückstrunken im Blau des weiten Himmels schwebt. Das Herz hat alle Sorge, alle Unruhe von sich getan. Sein Verlangen nach Vollkommenheit hat sich in ein einfaches, reines Ja zu Gott verwandelt.“ (gekürzte Fassung; aus: Eligius Leclerc, Weisheit eines Armen)
Das fiktive Gespräch zwischen Franziskus und seinem Mitbruder Leo wurde vom Franziskaner Eligius Leclerc in zeitgemäßer Sprache wiedergegeben. Es ist nicht historisch belegt. Aber wir dürfen davon ausgehen, dass der Verfasser als fundierter Franziskuskenner die Grundgesinnung des Heiligen Franz sehr gut erspürt hat. Diese hat er für den Leser ins Heute übersetzt.
Vielleicht ist uns die Frage nach dem reinen Herzen heute nicht so schnell auf den Lippen. Rein, das klingt nach unschuldig, sauber, steril. Aber das leichte Herz, das zu innerer Ruhe und Freiheit findet, damit kann auch der moderne Mensch sehr viel anfangen. Franziskus weist seinen Bruder Leo darauf hin, dass dies keine eigene Leistung ist. Leo steht für den Menschen, der meint, er müsse alles selbst in der Hand haben. Mir fällt dazu das Zauberwort unserer Zeit ein: Selbstoptimierung. Wir kämpfen, machen, plagen uns, damit wir in allen Bereichen des Lebens besser werden, erfolgreicher, effizienter, schöner. Es soll immerzu voran und bergauf gehen. Wir sollen funktionieren und beurteilen einander am Maßstab des Perfekten. Schwäche ist nicht vorgesehen, alles wird sofort bewertet. Daumen hoch, Daumen nach unten. Und es ist erstaunlich, was Menschen zu leisten bereit sind, wenn es um diese Optimierung geht. Da sind viel Druck und Zwang zu spüren.
Die Antwort des Franziskus steht für eine andere Einstellung zum Leben. Sie sagt: Rackere dich nicht dauernd ab, vergiss Deine Absichten und Ansprüche, häng nicht zu viel Gewicht an Deine Vorhaben und Deine Person. Schau doch, was Dir alles schon geschenkt ist, was dich leicht und frei macht von oft selbst gemachten Zwängen. Vieles geschieht auch ohne dein Zutun. Überlass dich dem Vertrauen und lass es gut sein!
Franziskus erinnert mich an die Einfachheit des Herzens. Genug ist genug. Ich darf sein, wie ich bin. Ich bin angenommen. Weil Franziskus Gott vertraut, muss er nicht besser, vollkommener oder leistungsfähiger werden. Dieses Gespräch zwischen den beiden Brüdern ist wie eine Einladung zu Selbstvertrauen und Selbstvergessenheit.
- Ich nehme das Wort „Lass gut sein!“ mit in meinen Alltag. Ich kann es mir immer wieder mal selbst zusprechen, vielleicht sogar laut. Ich kann auch andere mit diesem Zuspruch stärken.
- Wenn ich dazu neige, „mein Elend unter die Lupe zu nehmen“, unterbreche ich mich selbst, indem ich meine Gedanken in eine andere Richtung lenke. Ich kann das verbinden mit einer kleinen Geste: ich schüttle meine Hände aus oder streife sie ab, um innerlich wieder frei zu werden.
- Ich übe JA sagen: Ja zu mir selbst, Ja zu meiner aktuellen Situation, Ja zu meinen Mitmenschen, Ja zu Gottes Wegführung. Ich kann das Wörtchen JA als Wortkarte an einen sichtbaren Ort aufstellen. Ja sagen heißt nicht, dass alles beim Alten bleiben muss. Aber es ist immer der erste Schritt zur Veränderung.
Gelobt seist du, mein Herr,
mit allen deinen Geschöpfen.
Gelobt seist du für unsere Mutter Erde,
die uns erhält und lenkt und vielfältige Früchte
hervorbringt, mit bunten Blumen und Kräutern.(aus dem Sonnengesang des Hl. Franziskus)
Der Sonnengesang gilt als mittelalterlicher poetischer Text von außerordentlicher Bedeutung. Er ist in altitalienischer Sprache verfasst und wurde zu einem Stück Weltliteratur. Franziskus hat die Verse dieses Liedes im Winter 1224/25 gedichtet. Er wohnt zu dieser Zeit in einer Hütte im Garten von San Damiano bei den Schwestern der Hl. Klara. Seine körperliche Verfassung ist schlecht, er erblindet zunehmend und spürt, dass seine Lebenskraft abnimmt.
Es bewegt mich, dass Franziskus die Strophen dieses wunderbaren Lobliedes auf den Schöpfer und seine Geschöpfe nicht in sonnig heiteren Zeiten verfasst. Nein, mitten in seine Erblindung hinein sieht er mit den Augen des Herzens, was den Menschen geschenkt ist: Lebensraum, Gestirne, Wasser, Luft und Feuer, Erde, Mitmensch und Friede. All diese Gaben werden Franz zu Schwester und Bruder. Es ist, als würde die äußere Blindheit noch viel deutlicher erkennen lassen, worum es tatsächlich geht. Und ich frage mich: Gehen uns nicht in Corona-Zeiten auch die Augen auf für die tatsächlichen Schätze unseres Lebens, für die wir sonst reichlich blind sind?
Mutter Erde – wir erleben in diesen Wochen deutlich unsere Abhängigkeit: von der Nahrung der Erde, von sauberem Trinkwasser, von der frischen Luft, von Gesundheit und Fürsorge. All diese Gaben sind nicht selbstverständlich. Wir können ohne sie nicht sein. Das alles hat nichts mit Romantik oder nostalgischer Naturverklärung zu tun. Wir sind lebensnotwendig eingebunden in den Kreislauf der Schöpfung. Und ahnen in dieser Zeit, wo so vieles Liebgewordene nicht möglich ist, dass uns auch die Schönheit der Schöpfung trösten und aufrichten kann: das Maigrün der Bäume, die Fülle und Farbenvielfalt der Blüten, das Schwirren der Insekten und Schmetterlinge.
Grün – die Farbe der Hoffnung und der Lebendigkeit. Für Hildegard von Bingen ist die sichtbare Grünkraft ein Sinnbild für den unsichtbaren heiligen Geist. Wir gehen von Ostern dem Pfingstfest entgegen. Wir leben von den vielfältigen Früchten der Erde. Aber nicht weniger von den Früchten des guten Geistes Gottes: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung. (Gal 5, 22) Für Franziskus gehört alles zusammen. Nichts davon ist selbstverständlich. Das macht ihn demütig und dankbar.
- Licht, Sonne, Wärme, Helligkeit, Frische, Weite – besonders in Corona-Zeiten sind dies wunderbare Lebenshelfer. Ich achte besonders auf diese Gaben der Schöpfung und lasse mich spürbar ermutigen.
- Wenn ich einen Garten habe oder auch draußen spazieren gehe, nehme ich Erde in meine Hand und lasse mich davon berühren. Wie fühlt sie sich an? Wie verändert es mich, wenn ich mit Erde arbeite? Was hilft mir, geerdet durch meinen Alltag zu gehen?
- Ich kann Samenkörner in einer Schale mit Erde aussäen und das Wachsen der Saat bewusst mitverfolgen.
- Jeden Tag verbringe ich Zeit im Freien; ich schaue, höre, rieche, spüre, nehme wahr, ohne Absicht und ohne Bewertung; ich kann zum Abschluss eine Strophe des Sonnengesangs für mich beten.
- Loben tut gut; ich nehme mir bewusst vor, immer wieder einen Mitmenschen in meiner Umgebung zu loben, der etwas gut gemacht hat. Ich kann mich mit dem Kraftfeld der Dankbarkeit innerlich verbinden.
Höchster glorreicher Gott
Du
lichtvoll über allem
erleuchte
die Finsternis meines Herzens
und schenke mir
einen Glauben
der weiterführt
eine Hoffnung
die durch alles trägt
und eine Liebe
die auf jeden Menschen zugeht
Lass mich spüren
GOTT
wer du bist
und erkennen
welchen Weg du mit mir gehen willst
(Übertragung N. Kuster)
Dieses Gebet spricht Franziskus vor dem Kreuz von San Damiano. Er findet das Kreuz in einer halb verfallenden Kirche. San Damiano, wunderschön gelegen in zauberhafter Natur, wird durch das Wirken von Franz, von Klara und den Franziskanern durch die Jahrhunderte hindurch zu einem ganz besonderen Ort der Stille, des Gebets und der Gottverbundenheit.
In der kleinen verfallenen Kirche erkennt der junge Lebemann Franziskus ein Sinnbild für sein eigenes Leben. Zu dieser Zeit sind seine großen Träume vom Erfolg als Ritter zerplatzt. Sein Bild von einem allzeit sorglosen und unbeschwerten Leben ist zerbrochen. Er ist in die Sackgasse geraten und weiß nicht mehr weiter. Die Frage nach dem Sinn von allem treibt ihn zutiefst um, ruhelos fragt er nach dem, was wirklich trägt im Leben, gerade wenn alles auseinanderfällt. Im Anschauen des Kreuzes weitet sich ihm plötzlich das Herz. Er bittet um Glauben, Hoffnung und Liebe. Er bittet nicht um schnelle Antworten oder einfache Lösungen. Weil er ahnt, dass es in diesem Leben um mehr geht. Und dass die Suche einen langen Atem braucht.
In schwierigen Zeiten, wie sie jetzt ganz viele Menschen erleben, brauchen wir vor allem Mut und Hoffnung, dass es gut weitergeht, auch wenn wir den Weg im Voraus nicht kennen. Ich finde es tröstlich, dass das Wort Hoffnung den Aufruf „Hopp!“ enthält und uns daran erinnert, nicht deprimiert sitzen zu bleiben. „Hopp!“, englisch hope, sagt mir: steh auf! Und geh einen Schritt weiter, und sei er noch so klein. Viele kleine Schritte ergeben auch einen Weg.
Aufstehen – Auferstehen. Wir dürfen Ostern zuversichtlich erwarten mitten in Verunsicherung, Irritation und Angst; Spuren von Herzlichkeit und Leben entdecken in der aufblühenden Natur, in den treuen Gesten liebevoller Mitmenschen, in der Kreativität neuer Möglichkeiten, im Vertrauen, dass Gott alle Wege mit uns geht.
Dabei kann uns wieder neu bewusst werden: Hoffnung, die trägt, meint nie nur einen allein. Sie ist der österliche Atem, der uns als Gemeinschaft durchweht, verbindet und weiterführt.
- Ich nehme mir Zeit zu spüren, was meine Hoffnungskraft beflügelt (Bewegung, Natur, Dankbarkeit, Kreativität, Schlaf, Schönheit, Gebet …)
- Ich tue jeden Tag etwas, was die Hoffnung sichtbar weitergibt: einen lieben Menschen anrufen, eine bestärkende Postkarte schreiben, ein Bild schicken, das Hoffnung ausstrahlt, Mutmachsätze verschenken, ein Lied singen, mal die vergessene Gitarre wieder auspacken …
- Ich lasse bewusst die Dinge weg, die mich runterziehen und mutlos machen
- Ich entzünde ab und zu meine Osterkerze und bete das Gebet von Franziskus; ich kann es auch einmal in der Wir-Form sprechen
Bei der Stadt Gubbio trieb sich ein großer wilder Wolf umher. Er fiel auch Menschen an. Die Bewohner lebten in großer Angst. Keiner ging unbewaffnet vor das Stadttor. Franziskus hatte Mitleid mit den Menschen und er beschloss, dem Wolf entgegenzutreten. Der Wolf rannte mit offenem Rachen auf Franziskus zu, doch der machte das Kreuzzeichen über ihn. Der Wolf hielt inne, er spürte die Kraft, die von dem Heiligen ausging. Franziskus rief: „Komm zu mir, Bruder Wolf! Im Namen Christi befehle ich dir: Tu niemandem etwas zuleide!“ Der Wolf lief herbei und legte sich Franziskus zu Füßen. Franz versprach dem Wolf, dass ihm die Menschen genug zu essen geben würden, damit er niemanden mehr angreifen und verletzen müsse. Als Zeichen für sein Einverständnis legte der Wolf seine Tatze in die Hand von Franziskus. Gemeinsam gingen sie in die Stadt. Der Wolf ging nun jeden Tag von Haus zu Haus und die Menschen gaben ihm zu fressen. Mit seiner Sanftmütigkeit erinnerte er sie an den heiligen Franz von Assisi.
Die Kurzfassung dieser Geschichte ist angelehnt an die sogenannten Fioretti, eine Legendensammlung des 14. Jahrhunderts. Die 53 kurzen Kapitel über das Leben des Heiligen sind erst lange nach dessen Tod entstanden. Vor allem im 19. und 20. Jahrhundert war diese Sammlung als Andachtsbuch weit verbreitet und hat ein bestimmtes, eher lieblich sanftes Franziskusbild sehr geprägt.
In Geschichten und Legenden zeigt sich manchmal tiefe Lebensweisheit. Franziskus begegnet in Form des Wolfs und der bewaffneten Stadtbewohner der tiefsitzenden Angst, die in vielerlei Gestalten in uns Menschen lebt. Angst ist zu allen Zeiten ein großes Thema. Von der Geburt bis zum Tod begleitet sie uns. Es gibt begründete Ängste (bei Krankheit, bei konkreten Bedrohungen), es gibt die oft diffusen Alltagsängste, die das Leben unheimlich belasten können. Dann habe ich Angst vor Dingen, die vielleicht gar nie eintreten oder bei denen ich aus Mücken Elefanten mache. Angst sei ein schlechter Ratgeber, so sagt man. Vielleicht ist sie manchmal auch ein guter Ratgeber? Es kommt darauf an, ob wir sie verstehen und hören, was sie uns sagen will. Angst kann zu Ohnmacht und Lähmung führen oder zu Aggression und Wut. Franziskus geht einen anderen Weg. Er sieht die Angst, stellt sich ihr liebevoll und nimmt sie geschwisterlich an. Bruder Wolf und Schwester Angst sind eins. Die Angst zeigt mir, was ich brauche, was ich nötig habe zum Leben. Wenn ich sie verdränge, kann sie immer machtvoller werden. Durch das Ernstnehmen der Ängste und das mutige Darauf-Eingehen hilft Franziskus beiden Seiten: den ängstlichen Bewohnern und dem hungrigen Wolf. Nur wenn ausreichend gesorgt ist für alle, kann sich die Angst geduldig zähmen und in Lebensmut wandeln lassen.
- Gibt es zurzeit Ängste, die mich beschäftigen? Haben sie einen konkreten Anlass oder sind es eher diffuse Gefühle von Angst, die mich belasten? Ich nehme mir Zeit für die Frage: „Schwester Angst, was hast du mir zu sagen?“ Und gehe mit dieser Frage in einen kurzen Gebetsmoment oder vertraue mich einer verlässlichen Person an …
- Wer Angst hat, steht in der Gefahr, alles nur noch schwarz zu sehen. Ich übe in dieser Fastenzeit, tägliche „Lichtpunkte“ zu entdecken, Augenblicke des Schönen, Heiteren und Guten, und lasse auch sie gelten neben allem, was vielleicht schwierig ist. Ich notiere sie mir am Ende jedes Tages in einem eigenen „Lichtpunkte-Heft“ …
- In Gesprächen kann ich mein Zuhör-Ohr besonders dafür schärfen, was mir der andere von seinen Ängsten (oft sehr verdeckt und leise) zeigt. Ich kann diskret und ehrlich nachfragen, mir Zeit nehmen für ein ermutigendes Wort.
- In welchem Bereich wünsche ich mir gerade so etwas wie ein angstfreies Miteinander?
Wisset, dass vor dem Angesicht Gottes manche Dinge überaus hoch und erhaben sind, die bisweilen unter den Menschen für niedrig und wertlos angesehen werden. Und andere Dinge sind unter den Menschen wertvoll und ansehnlich, die vor Gott als ganz niedrig und als wertlos gelten.
(Br. Kust II, 2 f.)
Ich finde es erstaunlich, dass wir Heutigen noch Briefe lesen können, die der hl. Franz von Assisi im 13. Jahrhundert geschrieben hat. Soviel Zeit liegt zwischen den Jahrhunderten, die Sprache hat sich verändert, aber die Worte von Franz drücken etwas aus, was auch wir heute nachvollziehen können. Die oben zitierte Weisheit richtet Franziskus an die Oberen seiner Gemeinschaft. Mit Briefen hat Franziskus seine Mitbrüder daran erinnert, die wirklich wichtigen Dinge nicht aus dem Auge zu verlieren.
Franziskus ist ein Mann der Kontraste. Als verwöhnter Tuchhändlersohn wächst er auf mit kostbaren Stoffen. Brokat, Seide, Samt und Damast stehen für hohen Lebensstandard. All das erlebt er zunehmend als oberflächlich, äußerlich, eine Scheinwelt, die sich drückt vor der Realität. Ein Luxus, der viel Leere überspielt. Der protzt und den persönlichen Egoismus bedient. Kleider machen Leute. Franziskus fragt: wer bin ich wirklich, auch ohne den Reichtum? Wer bin ich in den Augen Gottes? Er tauscht sein Gewand in ein einfaches braunes Bauerngewand. Radikaler Stoff-Wechsel. Hin zu den Armen, den Habenichtsen, weil er bei ihnen den armen Christus entdeckt, den er sucht und liebt. Er entdeckt einen neuen, anderen Reichtum: echte Freude, herzliche Solidarität, zärtliche Demut, wachsende Freiheit. Auch heute spüren nachdenkliche und wache Menschen: unsere Welt leidet. Sie wird übernutzt und ausgebeutet. Es gibt mehr Schein als Sein. Der Mitmensch gerät unter die Räder. Es braucht einen anderen Lebensstil: Einfachheit, Fürsorge, Schöpfungsliebe, Sorgfalt im Umgang mit den begrenzten Ressourcen. Schon allein aus Vernunft. Und tiefer gelegt: weil Gott sich mit dieser so gefährdeten Welt eingelassen hat und sie liebt.
Persönliche Impulse für den Alltag
- Ich kann für einen Tag ganz bewusst wahrnehmen, mit welch unterschiedlichen Stoffen ich es zu tun habe; ich spüre sie mit meinen Händen, auf meiner Haut und nehme dankbar den Schutz und die bunte Vielfalt wahr.
- Mein persönlicher „Stoff-Wechsel“: ich überlege, in welchem Bereich ich meinen Lebensstil konkret vereinfachen kann, um wesentlicher zu werden … (weniger Hetze, weniger Smalltalk, weniger Ablenkung, weniger Smartphone, weniger Kaufen…)
- Ich notiere mir auf einer Liste an einem mir sichtbaren Platz alles, was mir persönlich wirklich wichtig und wertvoll ist; was (oft unscheinbar und leise) mein Leben reich macht, auch wenn es möglicherweise nicht im Mainstream der Zeit liegt. Ich spüre der Dankbarkeit in mir nach …
- Ich achte auf Menschen meiner nahen Umgebung, mit denen ich teilen kann: Zeit, Spaß, Wärme, echtes Interesse, Dinge, Geschichten des Lebens …
Pace e bene – Friede und Heil
Der heilige Franz von Assisi ist bekannt dafür, dass ihm dieser Gruß besonders wichtig war. In seiner Ordensregel, aber auch in verschiedenen Briefen und in seinem Testament am Ende seines Lebens taucht immer wieder der Wunsch auf: Friede diesem Haus! Der Herr gebe dir Frieden! Er fordert auch seine Mitbrüder auf, den Menschen, egal wer es ist, mit diesem Wohlwollen zu begegnen und ihnen von Herzen Gutes zu wünschen.
Es ist beeindruckend zu sehen, dass in zwei kleinen Worten ein ganzes Lebensprogramm steckt. Wir erfahren und spüren auch heute, dass in unserer Welt nichts so sehr gebraucht wird wie Friede und Versöhnung. Es gibt so viel Unterschiedlichkeit zwischen den Menschen, so viel Streit, Hass und Gewalt. Wer am lautesten schreit, findet am meisten Gehör. Das Gute ist oft leise und geht unter. Es scheint nicht besonders reizvoll zu sein. Aber Gutes wünschen, und dafür Worte finden – das genügt oft schon, damit der Friede beginnen kann.
Friede wächst, wo wir einander gelten lassen, uns füreinander interessieren, uns gegenseitig Gutes gönnen. Unser Zusammensein fühlt sich anders an, wenn eine Atmosphäre der Offenheit, der Großzügigkeit und der Geduld da ist – in der Familie, in der Wohngruppe, im beruflichen Umfeld, in der Pfarrei, in der Stadt, im Netz … In so einer Umgebung kann ich auch nachvollziehen, was Heilsein bedeutet: mich wohlfühlen, Vertrauen spüren, frei atmen können mit Leib und Seele, gesund sein dürfen. So wächst der Friede auch im eigenen Herzen.
Persönliche Impulse für den Alltag
- Ich kann mir diesen Gruß für diesen Monat besonders zu Herzen nehmen. Ihn immer mal wieder mir selbst zusprechen oder ihn als geschriebenes Wort an einer passenden Stelle in meiner Wohnung, in meinem Büro aufstellen.
- Wenn ich unterwegs bin und Menschen begegne, kann ich ihnen, entweder still oder auch laut, mit meinen Worten Friede und Heil wünschen.
- Ich achte in diesen Wochen darauf, wo ich Gutes erlebe – und „verdopple“ es, indem ich anderen davon erzähle.
- Vielleicht gibt es gerade Personen, um die ich mich besonders sorge. Für sie kann ich in meinem Herzen ein kleines Stoßgebet sprechen: Friede und Heil! Und ihnen meine Mitsorge durch eine kleine Geste zeigen.